Café Electric

Österreich 1927

Wenn ein Weib den Weg verliert / Die Liebesbörse

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Berichte

  • Friedrich v. Zglinicki, «Der Weg des Films», Berlin 1956, Seite 554–555
  • Charles Higham, «Marlene, ein Leben – ein Mythos», Hamburg 1978, Seite 47–49
  • Helga Bemmann, «Marlene Dietrich – Ihr Weg zum Chanson», Wilhelmshaven 1987, Seite 37
  • Werner Sudendorf, «Marlene Dietrich», München 2001, Seite 45–47
  • David Bret, «Meine Freundin Marlene», Hamburg 2002, Seite 37–38

 

Filmprüfstelle Berlin Berlin, den 3. Februar 1928
Kammer II Prüfnr-18070.

Betrifft den Bildstreifen: “Prostitution. Irrwege der Liebe”
Antragsteller und Ursprungsfirma: Südfilm A.G. Berlin, Saschafilm, Wien.
7 Akte = 2054 m.

E n t s c h e i d u n g
Die öffentliche Vorführung des Bildstreifens im Deutschen Reiche
Wird  v e r b o t e n .

Entscheidungsgründe:

Es kommt bei diesem Film nach Ansicht der Kammer nicht so sehr auf die Einzelszenen an, als auf die Gesamthandlung. Diese aber ist geeignet, in sittlich wenig gefestigten Gemütern den Wunsch nach dem “großen Leben” wach werden zu lassen. Die Tatsache, dass die kleine Prostituierte Hansi zum Schluß in ein glückliches, bürgerliches Leben einläuft, muß verführerisch wirken. Etwaige Hemmungen überwindet überdies die Parallelhandlung der Tochter des reichen Göttlinger, die es ja ebenso treibt und nun durch ihren Diebstahl in - weiter nicht dargestellte - mißliche Verhältnisse gerät. Von den Schattenseiten der Prostitution wird nur geredet, sie werden jedoch nie gezeigt; im allgemeinen scheint sich, nach Darstellung des Films, das Leben der Prostituierten in einer behaglichen Gemütlichkeit abzuspielen. Irgendwelche bescheidenen Versuche, das Problem der Prostitution  ethisch oder sozial überzeugend anzugehen, ermangeln dem Bildstreifen völlig.

Will man gewisse künstlerische Gegenwerte anerkennen, so sind sie doch nicht derart, dass sie die von der Kammer befürchtete Wirkung abschwächen.

Es war daher zu erkennen, wie geschehen.

 gez. G o e t z .

 

Film- Oberprüfstelle. Berlin, den 13. Februar 1928
Nr. 150

N i e d e r s c h r i f t .

Vorsitzender:  Oberregierungsrat Dr. S e e g e r,
Beisitzer: Z i m m e r m a n n  - Berlin,
 R a f f  - Berlin,
 F e c h t - Berlin,
 F r o h b ö s e - Hamburg.

Zur Verhandlung über die Beschwerde der Firma Süd-Film A.G., in Berlin gegen das Verbot des Bildstreifens:

“Prostitution. Irrwege der Liebe”
durch die Filmprüfstelle Berlin erschien für Beschwerdeführer

Dr. F r i e d m a n n .

Der Bildstreifen wurde vorgeführt.

Der Vorsitzende stellte fest, dass der Bildstreifen der Prüfstelle erstmalig unter dem Titel “Prostitution. Das Kaufhaus der Liebe” (Urteil vom 25. Januar 1928 - Nr. 17969) und sodann unter dem Titel “Prostitution. Irrwege der Liebe” (Urteil vom 3. Februar 1928 - Nr. 18070) vorgelegen hat und von ihr beide Male verboten worden ist.

Der Sachwalter des Beschwerdeführers äußerte sich zur Sache.

Hierauf wurde folgende

E n t s c h e i d u n g
verkündet:

Die Beschwerde gegen die Entscheidung der Filmprüfstelle Berlin vom 3. Februar 1928 - Nr. 18070 - wird auf Kosten des Beschwerdeführers zurückgewiesen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

  1. Der Bildstreifen hat jetzt folgenden Inhalt:
    Der Bauherr Göttlinger, nebenher Sammler altertümlicher Schmuckstücke (Titel 11, Akt I) ist Witwer (Titel 125, Akt V) und hat eine Tochter Erni, die sich in Tanzlokalen aufhält und dort einen Straßenräuber und Zuhälter Ferdinand (Titel 10, Akt I und 34, 35, Akt II) kennen und lieben gelernt hat. Während er sich zu einer Auktion nach Frankfurt begibt und seinen Bauführer Stoeger den Schutz Ernis anvertraut (Titel 14, Akt I), trifft sich Erni mit Ferdinand (Titel 14, Akt I), folgt ihm in seine Wohnung (Titel 44, Akt II) und wird seine Geliebte (Titel 53, Akt III). Nach verbrachter Liebesnacht verlangt Ferdinand, der “pleite ist” (Titel 55, Akt III) Geld von Erni. Sie bittet Stoeger um 500 Mark (Titel 60, Akt III) und benutzt die Gelegenheit, mit dem von dem Buchhalter Buchholz vergessenen Tresorschlüssel (Titel 63, Akt III) ihrem Vater Geld und einen Ring zu stehlen, wobei sie von Stoeger ertappt wird (Titel 67, Akt III). Stoeger, von dem zurückgekehrten Bauherrn gestellt (Titel 70, 71, Akt III), verrät Erni nicht und wird entlassen (Titel 130, Akt V).
    Von Ferdinand wandert der gestohlene Ring zu einer Dirne Hansi (Titel 78, 79, Akt IV), die “abends immer im Cafe Electric” zu finden ist, wo man “nur nach Hansi zu fragen braucht” (Titel 49, Akt II). Dort lernt Stoeger Hansi kennen und verliebt sich in sie (Titel 50, Akt II). Eine andere Dirne, Paula, die Ferdinand von Hansi vergeblich abzubringen sucht (Titel 35, Akt II), läßt Ferdinand wegen eines Straßenraubes festnehmen (Titel 99, Akt IV). Ferdinand glaubt, dass Hansi ihn habe “hochgehen lassen” (Titel 117, Akt V) und schwört ihr Rache. Während Ferdinand verhaftet wird, Stoeger und Hansi sich endgültig finden (Titel 104, 105, Akt V), weilt Göttlinger in Hansi’s Stammkneipe (Titel 108, Akt V) und bandelt mit ihr an (Titel 112, Akt V) und wird Zeuge, wie Ferdinand von der Seite seiner Tochter weg als Dieb verhaftet wird (Titel 118, Akt V). Er verheißt ihr, sie solle Gelegenheit haben, “an geeigneter Stelle über ihr Leben nachzudenken” (Titel 126, Akt V).
    Stoeger und Hansi sind verarmt (Titel 130, Akt V). Wie Hansi das letzte Wertstück, das ihnen geblieben ist, eine Meissner Figur (Titel 131, Akt V) an einen Freund im Cafe “Electric” verkaufen will (Titel 140, Akt VI) überrascht sie Stoeger (Titel 150, Akt VI), zeiht sie der Lüge (Titel 148, Akt VI) und stößt sie von sich (Titel 152, Akt VI). Hansi, die in der Hoffnung ist (Titel 162, Akt VII), kehrt in ihr Cafe zu Paula zurück und wird von Ferdinand, der inzwischen aus dem Gefängnis entlassen worden ist, durch einen Messerstich verletzt (Titel 166, Akt VII). Stoeger, der inzwischen als Reporter eine Anstellung gefunden hat (Titel 156, Akt VII) verzeiht ihr im Krankenhaus (Titel 175, Akt VII) und Paula, die Zeugin von Ferdinands Überfall gewesen ist, beschließt: “Ich habe genug von diesem Leben, ich bin heute das letzte Mal hier” (Titel 173, Akt VII).
     
  2. Die gegen das wiederholte Verbot des Bildstreifens aus dem Verbotsgrund der entsittlichenden Wirkung eingelegte Beschwerde ist an sich frist- und formgerecht erhoben, aber nicht begründet:
    Die Oberprüfstelle hat zwar wiederholt anerkannt, dass die Verwendung jedes Milieus als Vorwurf für den dramatischen Aufbau eines Bildstreifens zugelassen sei, selbst wenn es sich um Darstellungen aus dem Verbrecher- oder Dirnenleben handelt, sofern durch die Darstellung keiner der absoluten Verbotstatbestände des §1 Abs. 2 des Lichtspielgesetzes erfüllt wird (urteile vom 14. November und 5. Dezember 1925 - Nr. 780 und 791). Das ist aber vorliegend der Fall. Die Art und Weise, wie hier eine Schilderung des Dirnen- (Hansi und Paula) und Zuhälterwesens (Ferdinand) gegeben wird, überschreitet die gesetzlichen Grenzen und ist geeignet, eine entsittlichende Wirkung auszuüben.
    Eine dahingehende Wirkung ist hinsichtlich der gesamten Haltung des Bildstreifens festzustellen, die das Dirnenleben als etwas gegebenes, angenehmes und einfach abzuwerfendes (Paula: “Ich habe genug von diesem Leben, ich bin heute das letzte Mal hier” - Titel 173, Akt VII) darstellt. Wenn Hansi, trotz aller Fährlichkeiten ihr Lebensglück findet, so verdankt sie das, wie die Prüfstelle in ihrer Entscheidung vom 23. Januar 1928 zutreffend erkannt hat, ausschließlich der anormalen Harmlosigkeit Stoegers, der Hansi, die er auf ihre Anregung kennen lernt (Zeichnung auf dem Kaffeetisch) und die er selbst dann noch als Dame behandelt, als sie ihm das Cafe “Electric” als ihren ständigen Abendaufenthalt angegeben hat, wo er “nur nach Hansi zu fragen brauche” (Titel 29, Akt II). Diese Wirkung wird durch das Zuhältertum Ferdinands und sein Verhältnis zu Erni noch verstärkt, indem es zeigt, auf welch leichte Weise, Diebe und Räuber von der Sorte dieses Burschen sich dadurch, dass sie den Kavalier eines Tanzcafes spielen, in den Besitz von Geldmitteln und sogar von Liebe zu setzen vermögen. Die Darstellung, wie Ferdinand sich als routinierter Zuhälter mit Gewalt in den Besitz des Geschenkes von Dr. Lehner an Hansi zu setzen sucht (Titel 34, Akt II) wirkt nicht minder entsittlichend als die Szene, in der er Erni nach verbrachter Liebesnacht erpresst (Titel 53-58, Akt III).
     
  3. Aber nicht diese Szenen allein, deren Aufzählung noch durch manche andere (die Liebesszene mit Ernie, der “nächste Tag” vor dem zerwühlten Bett, die Eifersuchtsszene u.a.) erweitert werden könnten, sind für das Verbot des Bildstreifens maßgebend, sondern, wie die Prüfstelle richtig erkannt hat, lediglich sein  G e s a m t i n h a l t.
    Männliche und weibliche Zuschauer werden durch diese Darstellung leichten und erfolgreichen Erwerbes materieller und geschlechtlicher Vorteile in ihrem sittlichen Empfinden abgestumpft und angereizt, was einer entsittlichenden Wirkung gleichkommt.
     
  4. Das Problem der Prostitution wird, wie die Prüfstelle richtig erkennt (Urteil vom 3. Februar 1928) nirgends weder in ethischer noch in sozialer Hinsicht angepackt, worauf der Haupttitel hinzuweisen scheint. Sein Verbot hätte deshalb erfolgen müssen, auch wenn über den Bildstreifen eine andere Beurteilung Platz gegriffen hätte (Urteile vom 14. November 1922, 17. September 1924 und 29. März 1926 - Nr. 95, 388 und 334). Aus dem gleichen Grunde kann aber auch eine warnende Tendenz des Bildstreifens wie sie  von dem Sachwalter des Antragstellers behauptet worden ist, nicht anerkannt werden. Eine Warnung vor der Prostitution kann überdies durch die, wie oben festgestellt, recht anziehend gegebener Darstellung des Dirnenlebens allein, wie es im Getriebe des “Cafe Electric” verkörpert wird, nicht gesehen werden, selbst dann nicht, wenn gewisse damit verknüpfte Fährlichkeiten, wie die Rache Ferdinands an Hansi gezeigt werden. Eine solche Wirkung, wenn man sie selbst für gegeben anerkennen wollte, würde schon durch die alles ausgleichende Lösung der Handlung ausgeschlossen. Der Bildstreifen entbehrt vielmehr aller zur Abschreckung erforderlichen Gegenwerte, die das Leben im “Cafe Electric” als verwerflich darstellen, und die Rückkehr der Prostituierten in ein bürgerliches Leben mit allen seinen Schwierigkeiten und Enttäuschungen zeigen. Das Schicksal Hansis, die ihr Glück mit Stoeger findet, ist ebensowenig dazu angetan, den in der Gesamthaltung des Bildstreifens liegenden Anreiz zu Leichtsinn, Preisgabe und Verzicht auf Moral zu beseitigen, wie der oben bereits angeführte Ausspruch Paulas, mit dem sie durch Titel 173 (Akt VII) mit dem Abschied vom “Cafe Electric” einen zweifelhaften, in seiner Wirksamkeit dem Zuschauer nicht offenbaren Trennungsstrick gegen ihr bisheriges Wirken zieht. Lediglich mit ein paar, das Dirnenleben verdammenden Zwischentiteln kann die von dem Gesamtinhalt der Handlung ausgehende entsittlichende Wirkung nicht ausgeglichen werden.
     
  5. Die Kostenentscheidung folgt aus §5 der Gebührenordnung für die Prüfung von Bildstreifen.

Seeger