Witness for the Prosecution

USA 1958

Zeugin der Anklage

 

Berichte

  • Neil Sinyard und Adrian Turner, «Billy Wilders Filme», Berlin 1980, Seite 149–160
  • Sheridan Morley, «Marlene Dietrich», Frankfurt 1977, Seite 135
  • Charles Higham, «Marlene – ein Leben, ein Mythos», Hamburg 1978, Seite 191–192
  • Thierry de Navacelle, «Marlene Dietrich», Berlin 1987, Seite 145–146
  • Berndt Schulz, «Marlene – die Biographie einer Legende», Bergisch Gladbach 1992, Seite 365–367
  • Donald Spoto, «Marlene Dietrich», München 1992, Seite 320–322
  • Steven Bach, «Marlene Dietrich – die Legende, das Leben», Düsseldorf 1993, Seite 517–524
  • Hellmuth Karasek, «Billy Wilder – eine Nahaufnahme», Hamburg 1992, Seite 420–424
  • Maria Riva, «Meine Mutter Marlene», München 1992, Seite 766–772
  • Marlene Dietrich, «Ich bin, Gott sei dank, Berlinerin», Memoiren, Berlin 1987, Seite 177–179
  • Marlene Dietrich, «ABC meines Lebens», Berlin 1963,  Seite 107 und 202
  • Hellmuth Karasek, «Mein Kino», Hamburg 1994, Seite 302–304
  • Werner Sudendorf, «Marlene Dietrich» , München 2001, Seite 162–164
  • David Bret, «Meine Freundin Marlene» , Hamburg 2002, Seite 187–188

 

«Sie haben für viele große Regisseure gearbeitet…»
«Nein, nein, ich habe nur für zwei große Regisseur gearbeitet, für von Sternberg und für Billy Wilder.»

(Marlene Dietrich auf die Frage von Peter Bogdanovich in seinem Buch «Picture Shows»)

 

(…) Die Regie übernahm ich, weil Marlene Dietrich mich darum bat. Das erleichterte es ihr, die Rolle der Mörderin zu bekommen. Mit Laughton zusammenzuarbeiten war ein gewaltiges Erlebnis. Und ich fühlte mich gewaltig geschmeichelt, als ich kürzlich in einem Interview mit Agatha Christie las, sie habe gefunden, es sei die einzige Verfilmung eines ihrer Werke, die ihr wirklich gefallen habe. (…)

(Billy Wilder in “The Celluloid Muse” von Charles Higham und Joel Greenberg, London 1969, Seite 251)

 

Interview von Volker Schlöndorff mit Billy Wilder

 

(...)

Schlöndorff:

(«Die Zeugin der Anklage» hat Billy Wilder natürlich wegen Marlene Dietrich gereizt. Hauptsächlich nehme ich an auch wegen Agatha Christie, denn das Drehbuchschreiben ist sein Steckenpferd und hier hatte er nun wirklich die Spezialistin der Konstruktion, wie man eine Geschichte am spannendsten erzählt. Auf das «Was» der Geschichte kommt es gar nicht so an. Und er spielt das sehr aus gegen die Qualität etwa eines Raymond Chandler.)

Wilder:

Also nehmen wir zwei Schriftsteller, der eine ist der Raymond Chandler und die andere ist die Agatha Christie. Wenn der Raymond Chandler irgendein Gefühl für Konstruktion hätte, das wäre unschlagbar. Er hat doch einen großen Stil gehabt, aber das ist Beschreibung, das ist nicht dramatisierbar. Und die Agatha Christie, die hat konstruiert wie ein Engel. Das Beste, mit Überraschung. Aber sie hat so ganz flach geschrieben. Kein Dialog da, keine Menschen. Und ich hab' das Stück genommen «Die Zeugin der Anklage» und …

Schlöndorff:

Wie bist Du auf diesen Stoff gekommen?

Wilder:

Die Marlene kam zu mir und sagte: «Du paß mal auf, wenn Du das inszenierst…” – und sie hat mir nur das Stück gegeben. Der Hornblow machte das mit der United Artists. «Ich sage, daß ich das nur spiele, wenn Du …» Ich hab' es dann gelesen und ihr gesagt: «Gut!». Der Unterschied zwischen dem Stück und dem Film, also da waren die folgenden Dinge, die wir gemacht haben:
Erstens habe ich eine große Chance bekommen, weil ich den Laughton bekommen habe. Der Laughton war ja schon bereits eine Rakete. Das zweite war, das er [im Stück] keinen Herzfehler gehabt hatte. Und drittens, da gab's keine Krankenschwester, keine Zigarren und keinen Cognac, wo die aufpassen mußte. Es war ein großer Spaß, wie man ein Theaterstück auflöst in einem Film. Es ist Theater, aber wenn man versucht, es «filmisch» zu machen – aber in diesem Film ging es. Und die Leute, die Spannung war derartig – glaub' mir das –, noch heute, wenn ich den Film anschaue, habe ich keine Ahnung …

Schlöndorff:

Nachdem das nun ursprünglich ein Theaterstück war, habt ihr da anders gefilmt als sonst? Also habt z.B. vorher geprobt oder das ganze Script gelesen …

Wilder:

Nein, überhaupt nicht geprobt.

Schlöndorff:

… oder genauso wie sonst am Set, Szene für Szene?

Wilder:

Wir sind nach London gegangen, ein paar Außenaufnahmen …

Schlöndorff:

Die Außenaufnahmen, wo er sich mit der verkleideten Marlene trifft?

Wilder:

Nein, das ist im Studio, in einem ganz kleinen Studio. Der Alexander Trauner, der ein Genie ist, der hat eine ganze Station mit Zügen da gemacht.

Schlöndorff:

Ach, das war im Studio?!
(Verblüffend nicht nur, wie es Alexander Trauner schafft, hier den Eindruck zu erwecken, daß da ein ganzer Bahnhof in der Tiefe sei, wenn es in Wirklichkeit nureine Atelierwand ist. So auch die Verkleidung der Marlene Dietrich. Denn sie ist es, die sich hinter dieser Landstreicherin mit Cockney-Akzent verbirgt.)
Du hast sie aufgebaut als Frau, die man «zu hassen liebt», wie Stroheim, den man liebt, um ihn zu hassen.

Wilder:

Die Geschichte hat so viele Wendungen. Ich bin Agatha Christie sehr dankbar für diese Vorlage. Die Story ist sehr gut aufgebaut. Nur wenige können das. Wenn man 500 hervorragende Dialogschreiber hat, dann können höchstens 5 davon eine gute Handlung konstruieren. Das ist sehr schwierig. Es gibt zwei Arten von Filmen für das Publikum: eine sehr einfach Geschichte, schön möbliert mit ein bißchen Rokoko oder eine komplizierte Geschichte, die einfach gedreht wird, so daß sie viele verstehen, auch wenn's kompliziert ist. Und da machst du auch noch Arabesken darum. Die wissen nicht, worum es sich handelt.

Schlöndorff:

Du willst nicht so die Stilreinheit haben. Am Ende sitzt Charles Laughton und der Fall ist over, alle haben applaudiert, alle gehen raus und er sitzt da, ganz unzufrieden und er sagt: «Es ist zu sauber, zu logisch, es paßt alles zu gut zusammen.» Er ist nicht zufrieden mit dem Fall. Würdest Du das auch von einem Drehbuch oder von einem Film sein? Es darf nicht to neat, to clean, to symmetrical sein?

Wilder:

Es muß natürlich sehr präzise konstruiert werden, aber man soll die Konstruktion nicht sehen.

Schlöndorff:

(Auch entpuppt sich Billy Wilder wieder als en passant, als Moralist, denn es ist ihm nicht gleichgültig, wie seine Helden sich verhalten und egal wie miese sie am Anfang gewesen sind in einem Stück, sie müssen gegen Ende die Wahl haben, sich für das Gute oder für das Böse zu entscheiden, ohne sich vollkommen zu läutern. Denn meistens klappt das nicht. Aber immerhin, die Entscheidung. Und hier, Marlene Dietrich hat also die Wahl, entweder sich zu opfern für den Mann, den sie liebt oder ihr eigenes Leben zu retten.)

Wilder:

Man hat die Wahl. Im dritten Akt steht der Held oder die Heldin vor der Entscheidung. In «Das Appartment», da hat der Lemmon die Wahl gehabt, höher und höher zu steigen und er sagt «Nein, jetzt ist genug!» Und er geht wieder zurück, ohne Posten, ohne Stellung in der Gesellschaft. Und die hat also auch die Wahl zu machen. Das ist eine Wahl, die man versteht. Ich glaube, daß in den letzten 10 Minuten die Leute, die sich in den Tyrone Power verliebt haben, sind ganz auf seiner Seite, die drücken, daß die Marlene …

Schlöndorff:

… verurteilt wird.

Wilder:

Nein, daß die Marlene die Siegerin ist und sie freuen sich, daß sie den Mann, der ein Sünder ist, erstickt.
Eines der großen Gesichter in der Filmgeschichte, die Marlene oder der Conrad Veidt. So Leute, die nicht wie gewöhnliche Menschen ausschauen. Die Frau, mit dem Akzent und mit den Beinen und wie sie da gegangen ist und wie sie sich da angezogen hat, also für Filme nur, also, die hat doch imponiert, nicht? Die Leute identifizieren die Frau mit den Rollen, die sie spielt.

Schlöndorff:

Ja.

Wilder:

Und die typische Rolle für sie war z.B. in «Morocco». Sie ist eine Sängerin in einem Lokal und da sitzen die reichen Leute, der Menjou. Die kann doch alle Perlen und alles Gold der Welt haben. Aber sie liebt eben den armen Infanterieoffizier – nicht Offizier, gemeiner Soldat und dann am Schluß – das ist so komisch und wenn wir darüber sprechen, manchmal, lachen wir uns tot. Die gibt sie also weg, zieht sich die Schuhe aus, nimmt eine Ziege und geht mit der Ziege durch den Sand, nach den Legionären, sie die belle abesque.
Übrigens, ich kann mir die Situation vorstellen im Leben der Marlene. Nicht im Leben der Paulette Goddard oder der Zsa Zsa Gabor, die bleiben bei Menjou. Sie war eine Hausfrau, sie war die Florence Nightingale. Sie hat sich oft in Männer verliebt, die sterbenskrank waren. Wenn jemand gehustet hat, sagte sie: «Ich hab' da einen Arzt, kommen Sie mit mir mit!»

Schlöndorff:

Sobald jemand gehustet hat, hat sie sich in ihn verliebt?

Wilder:

Ja, sehr gerne, sie wollte gerne…

Schlöndorff:

… bemuttern.

Wilder:

Bemuttern, ja. Und wenn sie sich in einen Mann verliebt hat, hat sie auf den Knien alles gesäubert, hat Abendbrot gemacht. Sie war eine gute Köchin. Ich hatte einmal Leute zum Abendbrot im Haus. Freunde von mir. Alle sind schon sehr gespannt, Marlene zu sehen. Sie ist angezogen wie in einer ihrer Rollen: «Die Blonde Venus» oder so was. Und sie wird von einem Mann da abgeholt, nicht. Aber der ist noch nicht da. Sie kommt herunter auf einen Drink. Es sind so 30 Leute da. Ein paar haben sie gekannt, ein paar haben sie zum erstenmal gesehen. Und da hab' ich gesagt: «Marlene, erzähl uns doch mal über dein Liebesleben!» Und sie erzählte von einem Violinlehrer, dann war diese Affäre, dann war der Mann und sie schaun sie alle an, mit offenen Mund und nach 10 Minuten sagt sie: «Ich glaube, ich muß es Euch nun gestehen: dazwischen hatte ich dann auch mein erstes Abenteuer mit einer Frau. Da war eine Frau, eine Schauspielerin, die hat geheißen Claire Waldorff…» Und die Leute schaun da, und da hab' ich einen kleinen Satz gesagt: «Langweilen wir Euch?»

Schlöndorff:

(Billy amüsiert sich auch über die Art, wie sie von Sternberg noch mitbringt, ihre Haltung zum Licht und zur Kamera. Also so wie Faye Dunaway auf den Set kommt und plötzlich sagt: «Kill that light, kill that light!» und «Give me this key», so muß wohl auch Marlene Dietrich sich am Set verhalten haben.)

Wilder:

Ja, sie ist doch professionell. Sie hatte doch eine Zeitlang mit Sternberg Filme gemacht und die kannten sich sehr gut, sie kannte die Probleme, sie war selbst eine großartige Beleuchterin. Sie wußte, wie ihr Gesicht am besten ausschaut. Das hat ihr der Sternberg beigebracht. Und ich sagte zu ihr: «Es ist für mich eine etwas komische Situation, wenn die Schauspielerin zu mir sagt: 'Ich glaube das Führungslicht steht nicht ganz richtig.'» Keiner weiß etwas über Führungslicht. Es zu hell oder zu dunkel. «Tu, was du willst! Aber rede Du mit dem Chefbeleuchter. Ich mache ihn mir nicht zum Feind.» Da muß man sehr vorsichtig sein.
Ich melde mich immer, wenn ich in Paris bin und ich glaube, sie verstellt ihre Stimme. Da ist mal eine tschechoslowakische Köchin oder ein französisches Stubenmädchen und sie sagt: «Ich kann es Frau Dietrich ausrichten!»

Schlöndorff:

Und sie übertreibt so, daß Du denkst, sie spielt sie wahrscheinlich selber.

Wilder:

Meine Frau, nicht, die Audrey, sagte: «Ach, hab' dich nicht so, Marlene! Wir wissen, daß du es bist!»
«Ich verstehe sie nicht, was haben sie gesagt?»
Ich hab' zu ihr gesagt: «Hör mal, Marlene, ich komm' zu dir hinauf, ich möchte nur in deiner Nähe sein. Ich verbinde mir die Augen. Am Montag ruf ich dich an.»
Und da ruft sie mich am Sonntag an. «Du, das wird morgen nicht gehen, weil ich zu einem Augenarzt nach Neuilly fahre, und das ist eine sehr heikle Sache.»
Da sage ich: «Dienstags?»
«Dienstags, hast du gesagt, daß du wegfährst!»
Sag' ich: «Ich kann das verschieben, für 1 Tag.»
«Nein, nein, nein, wenn du wegfahren wolltest am Dienstag, fahr am Dienstag!»
Sie ist ein richtig guter Kumpel – schon seit 35 Jahren. Sie war eher wie ein Mann für mich.

Schlöndorff:

Ein Mitkämpfer

Wilder:

Ja. Wir haben oft über Schein und Sein gesprochen. Die Illusion im Theater oder auf der Leinwand. Wenn sie mit der Boa auftritt, das ist alles nur Show. Ich mag sie wirklich sehr. Und ich werde sie vermissen. Oder wenn ich zuerst dran bin, dann wird sie mich vermissen.

(aus «Billy How Did You Do It? – Billy Wilder im Gespräch mit Volker Schlöndorff und Hellmuth Karasek», ein Film von Volker Schlöndorff und Gisela Grischow, 1992)