Marlene kommt
Mehr als 20.000 DM Abendgage!

Pok. Marlene Dietrich kommt im Frühjahr nach Berlin, wie die «nacht-depesche» bereits in der vergangenen Woche meldete. Der amerikanische Konzertagent Norman Granz, der gestern zum Gastspiel seines «Jazz at the Philharmonic» in Berlin eintraf, bestätigte unsere Ankündigung. Er hat Marlene Dietrich für eine ausgedehnte Europa-Tournee verpflichtet.
«Marlene war mit mir der Meinung, dass die Tournee in Berlin starten sollte – und so werden wir es auch halten!» versicherte Norman Granz der «nacht-depesche».
Wie aber lässt sich dieses Dietrich-Gastspiel mit der häufig zitierten Abneigung Marlenes gegen Deutschland vereinbaren?
«Mir ist nicht bekannt, dass Marlene Antipathien gegen Deutschland und die Deutschen hegt», meinte Granz. «Davon war bei unseren Verhandlungen auch niemals die Rede.»
Und die Gage der «charmantesten Großmutter» mit den wohlgeformten Beinen? Wird Marlene Dietrich – wie man hörte – 15.000 bis 20.000 D-Mark für einen Auftritt während der Tournee erhalten? Nein - sie wird nicht 15.000 oder 20.000 D-Mark je Abend kassieren. Denn Norman Granz sagt: «Marlene bekommt viel mehr!» Dementsprechend werden also auch die Eintrittspreise aussehen.

Nacht-Depesche, Berlin, vom 13.02.1960

 

Marlene Dietrich
Kommt sie, kommt sie nicht?

(dpa). Es sei bisher nichts davon bekannt, dass die geplante Deutschlandtournee der Filmschauspielerin Marlene Dietrich wegen der Protestkampagne, die in einigen Massenblättern und Boulevardzeitungen ihren Niederschlag fand, abgesagt, werden soll. Dies erklärte der deutsche Interessenvertreter des amerikanischen Impresarios, der Marlene Dietrich nach Deutschland bringen wird, Fritz Rau, Neustadt-Weinstraße, am Montagabend auf Anfrage in Neustadt. Die Vorbereitungsarbeiten für die vorgesehenen Gastspiele in Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Köln, Frankfurt und München seien im Gange. Mit dem Berliner Titania-Palast, in dem Marlene Dietrichs Eröffnungskonzert am 30. April stattfinden solle, sei bereits ein fester Vertrag abgeschlossen worden, sagte Rau. Man rechne mit einem mehrtägigen Gastspiel in Berlin.

Rau bezeichnete es als „unklug und außerordentlich gefährlich“, wenn die seit langem geplante Dietrich-Tournee wegen einiger neonazistischer Wutausbrüche, die in Drohbriefen und Protestschreiben an den Hamburger Veranstalter geäußert wurden, abgesagt würde. Marlene Dietrich, die nicht mit Hitler habe paktieren wollen und deshalb nach Amerika ging, habe auch heute in Deutschland noch sehr viele Freunde, die sich auf ihre Gastspiele freuen würden.

Telegraf, Berlin, vom 03.03.1960

 

Guter Rat für Marlene-Dietrich-Gastspiel: Haltet den Mund

von Adolf Volbracht

Jetzt reißt mir die Geduld! Wem hat Marlene Dietrich eigentlich etwas getan? Seit Tagen, seit Wochen, seit die BZ Marlenes Gastspiel in Westberlin ankündigte, landen (zum größten Teil anonyme) Briefe auf meinem Schreibtisch, die voll sind von Hass gegen diese Frau. Warum?

Wollen wir doch einmal feststellen, was die – noch immer unvergleichliche – Marlene eigentlich getan oder gesagt hat.
Marlene ging vor 30 Jahren nach Hollywood – und ließ sich von Geobbels nicht überreden, wieder nach Deutschland zurückzukehren.
Marlene hat vom ersten Tag des Hitler-Wahnsinns bis zu seinem bitteren Ende niemals Liebe zu diesem Deutschland geheuchelt.
Marlene war konsequent und arbeitete OHNE GAGE während des Krieges für die amerikanische Armee – um auch ihr Teil zur Niederwerfung des Nazi-Regimes beizutragen.
Marlene erklärte nach dem Kriege lediglich, sie könne nicht begreifen, wie manche Menschen so schnell vergessen könnten, was unter den Nazis geschehen sei – sie selbst könne es nicht.
Aber die gleiche Marlene Dietrich machte einen Unterschied zwischen Nazi-Deutschland und ihrer alten Heimat. Bereits vor zwei Jahren erklärte sie der BZ:
„Ich würde sehr gerne wieder in Deutschland filmen“

Damals fehlten die Angebote

Und noch vor wenigen Monaten: „Hundert Leute haben mich gefragt, warum ich nicht nach Deutschland komme. Ganz einfach: weil ich noch kein interessantes Angebot habe!“
Damals verriet sie in einem Interview der BZ: „Ich muss einfach arbeiten. Ich besitze keinen Pfennig!“
Das ist in Wahrheit alles. Aber es gibt Menschen, die finden es unverzeihlich, dass ein Deutscher „für Amerikaner arbeitete“ – das sind die gleichen Leute, die auch die Männer des 20. Juli als „Verräter“ ansehen – obwohl sie doch aus echter Vaterlandsliebe handelten.
Es gibt Menschen, die können dieser Frau ihren Hass gegen Hitler nicht verzeihen. Aber mir ist Marlene mit ihrer gesunden Skepsis gegenüber ihrer alten Heimat lieber als Menschen, die am liebsten ihre ganze Vergangenheit ausradieren möchten.
Zum Glück sind die Marlene-Gegner in der Minderzahl – wenn auch lautstark. Die anderen Berliner haben niemals „ihre Marlene“ vergessen. Und sie freuen sich, wie ich mich freue, dass sie kommt.
Ihr anderen: lasst sie in Ruhe! Kümmert Euch um Eure eigene Vergangenheit!

B.Z. am Mittag, Berlin, vom 22.03.1960

 

Es bleibt dabei: Marlene ist herzlich willkommen!

Gsl. MARLENE DIETRICH wird, wie vorgesehen, am 30. April ihre Deutschland-Tournee beginnen, erklärte ihr Manager, der Hamburger Konzertunternehmer Kurt Collien. Jenen Wirbel um die Künstlerin, der von einigen Leserbriefen an deutsche Zeitungen und Zeitschriften entfacht worden sei, hält er für „aufgebauscht und übertrieben“. „Es gibt viele Missverständnisse um Marlene Dietrich in Deutschland“, sagte er.

MISSVERSTÄNDNISSE ist nun wirklich ein sanftes Wort für das, was da in allerlei Zuschriften nach oben spülte. Marlene habe in Deutschland nichts mehr zu suchen, hieß es darin. Sie „hasse die Deutschen“. Sie wolle „nichts als harte D-Mark kassieren“.

BEI ALLER HOCHACHTUNG für die deutsche Währung: die Dinge, um die es geht, liegen wohl doch jenseits der schönen blanken D-Mark-Welt. Nicht alle Protestbrief-Schreiber können böswillig sein. Manche sind sicher nur ahnungslos. Deswegen drei Sätze zur Sache:

DIE DIETRICH ist eine der ganz wenigen deutschen Künstlerinnen, die früh und aus eigenen Stücken gegen die Nazi-Diktatur Front machten, obwohl Goebbels sie mit Kusshand zurückgeholt hätte. Sie wurde stattdessen in Amerika zur treuesten und selbstlosesten Helferin vieler, denen Hitler die Heimat nahm. Sie bewies Herz und Charakter – Charakter auch darin, dass sie den Schock eines fremdgewordenen Vaterlandes nicht von heute auf morgen überwinden konnte.

NICHT JEDER in politischen Umstellungen Geübte mag das hierzulande verstehen. Wir anderen werden die Dietrich um so herzlicher empfangen!

Berliner Morgenpost, Berlin, Seite 12, vom 26.03.1960